Yvonne Schönau im Interview: „Disziplin ist nicht der Ausweg!“
Du würdest gern ein besseres, gesünderes Leben führen, aber dir fehlt die nötige Disziplin? Dann kann ich dich beruhigen: Disziplin ist nämlich ein Mythos. Diese Meinung vertritt Yvonne Schönau, Coach für Emotionale Intelligenz. Im Interview für meinen Podcast “Wonder of Weightloss” verrät sie uns, warum wir dringend wieder lernen müssen, auf unseren Körper zu hören und mit welch einfachen Mitteln wir es schaffen, auch negative Gefühle für etwas Gutes zu nutzen.
Hier kannst du dir das Interview anhören:
Wir müssen uns unseren Gefühlen stellen: Interview mit Yvonne Schönau
Yvonne Schönau ist Expertin für emotionale Intelligenz und verfolgt das Motto “Raus aus deinem Kopf, rein in deinen Erfolg”. Seit 15 Jahren begleitet sie Teilnehmer dabei, Veränderungen zu wagen und mutige Entscheidungen zu treffen. Hinter dieser Erfolgsgeschichte steckt eine Yvonne, die in ihrer Schulzeit von Zweifeln geplagt wurde, weil sie anders war als die anderen und dachte, sie gehöre nirgends so richtig dazu. Diese Gedanken hatte sie allerdings nie mit jemandem geteilt, sondern sich vielmehr eine Schutzstrategie entwickelt, damit keiner in sie hineinschauen kann. Auch in späteren Jahren musste sie aufgrund einiger finanzieller Fehlentscheidung unangenehme Erfahrungen machen.
Doch ein einziger Gedanke holte sie am Ende aus allem heraus: “Es muss doch einen Weg geben!” Genau so sollte es sein. Heute ist Yvonne Emotional Leadership Coach und Head Coach bei Tobias Beck. Sie steht für das Thema “emotionale Führung” – sowohl für uns als auch für Führungskräfte. Sie hilft uns dabei, bestimmte Werte in unserem Leben durch emotionales Leadership in Umsatz zu verwandeln.
Yvonne, magst du uns dich noch mal in deinen eigenen Worten vorstellen und uns verraten, was für ein Mensch du bist, wenn du nicht gerade auf der Bühne stehst?
Yvonne Schönau: Dann ich ein neugieriger Mensch, der Freiheit liebt und Abenteuer. Einer, der sich die philosophischen Fragen des Lebens stellt: Wer hat eigentlich erfunden, dass Arbeit ist wie sie ist? Wer hat die Systeme so gebaut, wie sie sind? Was macht Menschen aus? Außerdem mag ich das Lesen sehr gern und wenn ich das nicht kann, dann gehe ich zumindest im Winter gern Skifahren. Wenn ich für mich alleine bin, dann bin ich kein Head Coach, sondern bin einfach neugierig und möchte das Leben als Abenteuerspielplatz betrachten, auf dem man wahnsinnig viel erleben kann.
Kannst du gut alleine sein?
Ja, ich kann sehr gut allein sein. Das widerspricht vielleicht manchmal dem, wie ich arbeite: Bei den größten Gruppen, mit denen ich zusammenarbeite, sind es manchmal 2.000 bis 3.000 Menschen am Tag, bei kleinen Gruppen sind es um die 20 Menschen. Deshalb mag ich sehr gern die Balance. Ich bin gern allein, muss nicht ständig stundenlang mit Freunden telefonieren. Langeweile kenne ich nicht, sich mit mir selbst beschäftigen klappt wunderbar. Vielleicht liegt das daran, dass ich früher sehr oft umgezogen bin in neue Regionen, in denen ich niemanden kannte. Du siehst, wie die Leute zusammen essen gehen oder gemeinsam ins Kino und du bist immer allein – dann bist du viel offener für das, was um dich herum passiert.
War das schon immer so? Denn ich konnte früher beispielsweise gar nicht gut allein sein. Für mich war auch gerade das Thema Essen eine große Herausforderung, wenn ich alleine war. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir so viel zu Hause bleiben müssen.
Wenn wir beim Thema Essen sind: Ich bin kein großer Kocher. Früher habe ich immer gesagt, ich kann nicht kochen. Heute weiß ich: Ich habe einfach keinen Nerv dafür. Essen planen, sich da Gedanken drüber machen, das alles organisieren, das mag ich nicht. Ich esse aber gerne! Ich würde auch in dieser Zeit gerne essen gehen, geht ja nur leider nicht. Ich merke aber schon, dass sich der ganze Tag derzeit ums Essen dreht. Morgens, mittags, abends – man ist eigentlich nur noch damit beschäftigt, sich Gedanken um die Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme zu machen! Dabei merke ich zum Glück noch, dass ich gar nicht so viel Hunger habe und entsprechend auch gar nicht so viel esse. Ich frage mich oft: Habe ich gerade überhaupt Hunger? Oder ist es eher Durst? Oder will ich mich gerade belohnen? Oder habe ich einfach nur Langeweile?
Ich habe mit 15 meine ersten Diäten gemacht und seitdem einiges durchgemacht. Hast du denn schon mal Diäten gemacht?
Das fing bei mir so mit Mitte 20 an. Ich war ein dünnes Kind früher. So dünn, dass sich Leute oftmals Gedanken darüber gemacht haben, ob ich denn genug essen würde. Zudem habe ich damals viel Sport gemacht. Mit Anfang 20 ging es dann mit den Diäten los. Zu dieser Zeit habe ich am Theater gespielt und wenn die Vorstellung spät abends vorbei war, gab es Essen. Das war ja meist nach 23:00 Uhr. Dadurch habe ich innerhalb von vier Jahren rund 20 Kilo Gewicht zugenommen. So viel hatte ich noch nie zugenommen! Deshalb fing ich mit Weight Watchers an und konnte innerhalb von zwei Monaten zumindest acht Kilo wieder loswerden. Danach habe ich verschiedene Sachen ausprobiert: Verzicht auf Kohlenhydrate, Intervallfasten, …
Weil du nach Weight Watchers wieder zugenommen hattest?
Ja, genau, ich habe die acht Kilo wieder genau so zugenommen. Ich befinde mich aktuell drei Kilo unter meinem Maximalgewicht, an dem ich schon mal war. In meinem Kopf habe ich noch immer den Gedanken: “Hey, lass mal noch 15 Kilo abnehmen!”. Aber das Verhältnis zu meinem Körper hat sich zwischenzeitlich extrem verändert.
Durch deine Arbeit?
Auf jeden Fall. Durch meine Arbeit mit den Emotionen wie Selbstliebe und Selbstwert kam ich dazu. Ich habe aber auch einen weiteren Weg gemacht zu Weiblichkeit. Wenn du dich mal intensiv mit dir selbst beschäftigst, kommst du an deine Glaubenssätze und darüber hinaus und noch viel tiefer. Da geht es dann ums Rollenverständnis. Was bedeutet Weiblichkeit? Gibt es überhaupt weibliche Vorbilder? Das Ganze geht dann noch weiter in den Bereich Sexualität: Was hast du gelernt? Was wurde dir vorgelebt?
Weshalb ist es so wichtig, sich diese Fragen zu stellen?
So lernst du, was für ein wundervolles Instrument dein Körper ist, um Dinge zu fühlen und die Welt zu erfahren. Auf der anderen Seite gibt’s natürlich die Frustration, nicht mehr so sportlich zu sein wie früher und jeden Tag Körpergedanken zu haben, was besser sein könnte. Im selben Atemzug bringe ich aber auch die Akzeptanz für die Situation auf. Wenn diese Selbstliebe da ist, ist das so viel wert! So kann ich den Menschen jetzt eher sagen: Es ist doch nur Fett, es ist nicht, wer du bist.
Heißt das, dass du deinen Körper jetzt besser annimmst, als du es früher getan hast?
So ist es. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, in der ich ein Sixpack hatte und einen kleinen knackigen Hintern und mich frage, ob ich da glücklicher war als heute, wo das nicht mehr der Fall ist, würde ich definitiv sagen: Nein. Ich war damals ein anderer Mensch. Du wirst von dir selbst auf deinen Körper reduziert und erfährst dich dadurch anders. Für mich kommen da noch andere Aspekte dazu, zum Beispiel Schönheitsideale.
Ist dieses ganze Thema, dass Frauen sich schminken, ihre Haare machen und vor dem Spiegel fertig machen, nicht nur ein Konzept, das uns davon ablenken soll, in voller Stärke zu sein? Nach dem Motto: “Oh sorry, ich konnte heute nicht meinen Traum leben. Ich war noch mit Haare föhnen beschäftigt, damit ich gut aussehe.” Das gehört meiner Meinung nach alles zusammen: Das Gewicht, das Essen, das Selbstbild, welches Bild wurde mir als Frau vermittelt, was wurde mir von meiner Mutter vorgelebt – es ist sehr vielschichtig.
Wie kommt es dann, dass du trotzdem sagst, dass du noch weiter abnehmen möchtest? Wenn du doch eigentlich mit deinem Körper zufrieden bist?
Weil ich etwa im Sommer, wenn ich Kleider anziehe, feststelle, dass ich ganz gern eine andere Art von Kleidern anziehen möchte. Das heißt aber nicht, dass ich meinen Körper verstecke, nur weil er nicht so ist, wie er sein könnte. Ich trage trotzdem Kleider! Ich lasse mich nicht davon abhalten, trotzdem Dinge zu tun, raus zu gehen und mich zu zeigen. Obwohl ich sagen kann, dass ich auf der anderen Seite gern noch etwas anders hätte.
Das geht nämlich tatsächlich gleichzeitig!
Du kannst gleichzeitig mit dir zufrieden sein, was aber eben nicht heißt, dass du dich ausruhst und gar nichts mehr an dir tust. Der Unterschied besteht meiner Meinung nach darin, dass du dich für den jetzigen Zustand nicht fertig machst und verurteilst. Sonst bringst du Energie auf, gegen dich zu arbeiten in dem Moment. Das ist viel anstrengender. Ich mache mich nicht fertig für meinen Zustand, sondern akzeptiere ihn, wie er ist. Das heißt aber nicht, dass ich nicht gleichzeitig noch nach etwas anderem streben könnte.
Ich bin auch fest der Überzeugung, dass man erst den Schritt gehen muss, dass man sich selbst annehmen kann. Erst danach kann die Veränderung passieren. Weil du gerade Vorbilder angesprochen hast und das, was einem vorgelebt wird: Was wurde dir in Sachen Essen und Beziehung zu deinem Körper vorgelebt?
Meine Mutter ist eine stark übergewichtige Person, seitdem ich sie kenne. Wenn ich darauf zurückblicke, was es zu essen gab: Es schmeckte immer ganz wunderbar, aber es war eben typisch Deutsch. Da wurde über alles noch eine Portion Fett aus der Pfanne drüber gegossen. Wenn ich heute daran denke …. Du liebe Zeit. Wie man sich heute mit Superfoods und Salaten ernähren kann – das gab‘s bei uns früher nicht. Meine Eltern machen das bis heute nicht! Es ist ganz interessant zu sehen, was normal war. Ich habe erlebt, dass meine Mutter nie auf Fahrradtouren mitgegangen ist wegen ihres Gewichts, dass sie ungern ins Freibad gegangen ist wegen ihres Gewichts. Sportliche Aktivitäten habe ich eigentlich immer mit meinem Vater gemacht. Ich habe meine Mutter selbst auch nie als ein Wesen wahrgenommen, das sein Weiblichsein gelebt hätte.
Als was für einen Menschen dann?
Sie hatte immer schon Macher-Komponenten: Meine Mutter hatte immer drei Jobs gleichzeitig, hat ganz viel gemacht und auch mir möglich gemacht. Als ich Teenager war, hatte ich eine Freundin, durch die ich zum ersten Mal mit Bulimie konfrontiert wurde. Ich erinnere mich noch ganz genau, dass unser Englischlehrer damals zur Klasse gesprochen hatte. Wenn sie in der Klasse sei, sollten wir bitte nicht essen oder trinken, weil sie das triggern könnte. Ich saß da und dachte mir: Das ist doch totaler Blödsinn, dass wir mit normalem Essverhalten Rücksicht nehmen müssen auf jemanden, der damit ein Thema hat. Ich entwickelte da eine richtige Anti-Haltung und ich weiß noch, dass ich manchmal mit Absicht etwas gegessen habe, wenn dieses Mädchen in den Raum kam, damit sie sieht, dass es Menschen gibt, die eben essen. Als Gegenreaktion auf das, was ich durch sie mitbekommen habe, habe ich dann gegessen, ob ich Hunger hatte oder nicht. Das war natürlich auch Quatsch.
Gibt es da aus deiner heutigen Sicht eine Erklärung dafür, warum man so etwas macht? Warum man aus Trotz isst, obwohl man gerade gar nichts braucht?
Als Teenager macht man ja viele Dinge, die keinen Sinn ergeben. Da hat man ja gar keinen Plan, ist einfach gegen alles. Ich müsste komplett spekulieren. Man hat als Teenager ja kaum Auswahlmöglichkeiten. Man ist entweder dafür oder dagegen. Ich war noch nicht so weit zu sagen: “Ich muss auf meinen Körper hören und auf seine Bedürfnisse.” Das war gar nicht in meiner Bewusstseinswirklichkeit vorhanden.
Hörst du heute auf deinen Körper?
Ja, auf jeden Fall.
Das heißt, du isst keine Frikadellen mehr mit Butterkartoffeln?
Wenn ich jetzt sagen würde, ich esse keine Frikadellen und Butterkartoffeln mehr, würde ich mir selbst eine Regel auferlegen, die überhaupt keinen Sinn macht. Ich prüfe ja immer: Wonach ist mir? Da nehme ich ein ganz anderes Körpergefühl im Inneren wahr. Mein Fleischkonsum ist etwa deutlich zurückgegangen. Aber nicht weil Vegansein oder Vegetarischsein gut für die Tiere ist oder die Umwelt oder weil Schweinefleisch nicht gut für die Gesundheit ist, sondern weil aus meinen inneren Bewusstsein passiert ist, dass ich keinen Drang danach habe.
Früher war es beispielsweise so, dass ich nach dem Essen immer Lust auf ein schokoladiges Dessert hatte. Heute kann ich viel leichter sagen: Nein, ich möchte keinen Nachtisch mehr – und bleibe auch dabei. Ich checke also quasi in mich selbst ein und prüfe, was ich überhaupt brauche. Früher dachte ich, wenn ich etwas bestellt hatte und es schmeckte mir nicht, ich müsste es trotzdem aufessen, weil es ja teuer ist und man Lebensmittel nicht vergeuden soll. Heute mache ich so etwas nicht mehr. Wenn mir etwas nicht schmeckt, ist mir das Geld egal, das ich dafür zahlen muss. Ich bestrafe mich doch nicht doppelt, in dem ich das Essen bezahlen muss UND auch noch etwas Essen muss, das mir gar nicht schmeckt! Das mache ich nicht mehr.
Das sage ich meinen Kunden auch immer: Auf welchem Weg das Essen in die Kanalisation geht, ist egal. Ob es über den Mülleimer kommt oder durch den Darm läuft, ist eigentlich egal.
Ich versuche schon vorher zu prüfen, was ich will. Essen hat ja einen Wert: Der Weg, dass es überhaupt produziert wurde. Die Arbeit und Energie, die Menschen da rein investiert haben. Ich versuche, ein anderes Bewusstsein für die Ressource Essen zu haben, woher es kommt. Das verändert die Art meines Einkaufverhaltens, wie man an meinem Kühlschrank sieht. Ich weiß, dass ich zu Hause eher relativ wenig esse, also achte ich darauf, dass ich nicht so viel wegwerfen muss. Wir sind so schnell im Wegwerfmodus. Das muss eigentlich nicht sein.
Da hast du recht, aber woher kommt das, denkst du? Warum werfen wir immer gleich alles weg?
Bei uns steht ein Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Produkten. In China hingegen, dort habe ich eine Zeit lang gelebt, steht kein Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Lebensmitteln, sondern das Verpackungsdatum. Der Verbraucher entscheidet dort also selbst, was er meint, wie lange etwas haltbar ist. Das finde ich viel cleverer als bei uns! Das gibt mir viel mehr Autonomie, mich für mein Essen zu entscheiden. Für viele Menschen bei uns ist das Mindesthaltbarkeitsdatum wie ein Damoklesschwert, das über unserem Essen kreist und uns sagt, wann unsere Nahrung kaputt ist. Dann werfen wir das Essen weg und zwar nur, weil wir eine andere Art des Verpackungssystems haben!
Genau solche Sachen sind es ja aber, die uns triggern und unser Verhalten beeinflussen. Wie du bereits gesagt hast: Würden wir auf unsere Intuition und körpereigene Intelligenz hören würde, würden wir deutlich weniger Fleisch konsumieren.
Ich mochte ja früher auch Wurst und Salami. Aber sowas kaufe ich gar nicht mehr. Das ist produziertes Fleisch, in Plastiktüten abgepackt … da laufe ich an den Regalen im Supermarkt vorbei und finde es regelrecht ekelig. Ich möchte solche Nahrungsmittel nicht in meinen Körper tun. Aber bis zu dieser Erkenntnis war es ein Prozess. Das heißt noch lange nicht, dass ich nur noch regional, bio, auf dem Wochenmarkt oder im Unverpackt-Laden einkaufe. Das schaffe ich gar nicht. Das muss aber einfach jeder für sich selbst wissen und nach seinem Gefühl gehen.
Wie könnte man es denn generell in der Gesellschaft schaffen, Menschen dabei zu helfen, sich besser zu ernähren? Es ist ja definitiv eine Frage des Selbstwertes, was ich esse, ob ich mich für billiges Fleisch und Fast Food entscheide oder für gutes, gesundes Essen.
Was nicht funktioniert: Sich hinstellen und predigen, warum eine bessere Ernährung gut für die Gesundheit ist. Niemand will sich von anderen sagen lassen will, wie die richtige und gesunde Art zu Leben aussieht. Rein von der Ratio wissen wir das ja alle. Was wir aber tun können: Bei uns selbst anfangen. Wenn wir bei uns selber anfangen, uns bestimmte Bereiche unseres Lebens mal genauer anschauen, sanft mit uns umgehen, reflektieren, informieren und selbst als Beispiel vorangehen. Dabei müssen wir aber die Akzeptanz wahren, dass andere nun mal so sind, wie sie sind. Nur nicht bohren! Damit erreichen wir genau das Gegenteil. Ich habe beispielsweise erst mit 19 Jahren damit angefangen, Alkohol zu trinken.
Warum das?
Als Teenager fand ich es widerlich und peinlich, wenn Leute auf Partys betrunken waren. Da musstest du dich aufgrund des Gruppenzwangs rechtfertigen, wenn du keinen Alkohol trinkst. Neulich auf einer Party ist mir das tatsächlich immer noch passiert: 25 Jahre später habe ich an einem Abend mal keine Lust, Alkohol zu trinken, schon kommt einer, der sagt: “Was, du trinkst nicht? Du bist aber langweilig!” Dass man sich immer noch erklären muss, ich völlig daneben. Egal, was andere sagen, muss man sich aber fragen: Was will ich konsumieren? Was bin ich mir wert? Lasse ich mir von der Werbung oder dem Verhalten anderer Menschen einreden, was normal ist? Oder höre ich da in mich selbst hinein, was für mich normal ist?
Für so viele Menschen ist es aber wirklich schwer zu trennen zwischen dem, was sie selbst wollen und dem, was ihnen suggeriert wird, was sie wollen.
Während meiner Ausbildung zur Werbekauffrau habe ich Erich Fromm gelesen, “Haben oder Sein”. Im Kern geht es darum: Es gibt Menschen, die wollen alles haben, schreiben alles mit, rupfen eine Blume am Wegesrand heraus, da sie diese besitzen möchten. Es gibt aber auch die, die die Blume stehen lassen und sie einfach nur bewundern. Da wurde mir klar: Ich arbeite in einer Branche, in der ich Bedürfnisse bei Menschen kreiere, die sie nicht bräuchten, damit sie die Dinge kaufen. Werbung wird mit Emotionen gemacht! Und ich kam in eine Sinnkrise mit 19 und habe meine Ausbildung verkürzt.
Du hast danach ein Studium angefangen. Ging es dir währenddessen besser?
Während meines anschließenden Studiums habe ich dann in einem Kaufhaus gearbeitet. Immer, wenn ich gearbeitet habe, verspürte ich das Bedürfnis, Dinge zu kaufen. Habe ich nicht gearbeitet, konnte ich ohne Probleme minimalistisch leben. Während meiner Zeit in Shanghai hatte ich damit angefangen, mir ständig neue Notizbücher zu kaufen. Bis ich irgendwann einmal festgestellt habe, dass für mich von diesen Notizbüchern ein Gefühl von Sicherheit und Entspannung ausgeht. Deshalb finde ich Emotional Leadership und den Umgang mit Emotionen so wichtig! Wenn du verstehst, wie du selbst in deinen Emotionen funktionierst, wo du Bedürfnisse hast und wo du Mechanismen anwendest, um deine Bedürfnisse zu stillen, wirst du immer stärker. Du lässt dich nicht mehr manipulieren, weder von Menschen noch von Werbung. Du triffst klare Entscheidungen und wirst wach für dein Leben. Das fängt alles bei den Emotionen ab.
Gibt es denn Tools, die man etwa schon Kindern mit auf den Weg geben kann, damit man sie später nicht “retten” muss, sondern sie von Anfang an lernen, mit sich selbst umzugehen?
Ja, das geht, man kann EQ trainieren. Zuerst muss man natürlich Emotionswissen haben. Man muss verstehen, wofür unsere Primäremotionen gut sind: Warum bin ich traurig? Warum empfinde ich Trauer? Da würde ich mich erstmal vom Erwachsenenwesen her einlesen. Traurigkeit fühlt sich schwer an und so, als hätte man sich selbst nicht im Griff. Da gilt es zu verstehen, dass alle Emotionen aber einen Sinn haben, sonst hätte sie uns die Evolution nicht weiter mitgegeben. Welche Emotionen wurden dir beigebracht? Gibt es gute oder schlechte Emotionen? Wurde in deinem Elternhaus nur gebrüllt und willst du deshalb lieber Harmonie? Welche Emotionen kannst du besser ausdrücken, welche weniger gut? Um emotional flexibel zu sein, kann man mit Kindern eine wunderbare Übung machen am Ende des Tages, die zudem das Immunsystem stärkt.
Wie sieht diese Übung aus?
Die vier Fragen, die ich hierfür verwende, habe ich von Dirk Eilert, der in Berlin eine Akademie für Emotionen hat. Von ihm habe ich meinen wissenschaftlichen Hintergrund. Eine Frage davon kennen wir auch schon, wenn wir uns mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen, und zwar ist das die Frage nach der Dankbarkeit. Wofür bin ich heute dankbar? Das Gefühl von Dankbarkeit bestätigt unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Harmonie. Wenn du ein Thema mit Einsamkeit hast, macht es Sinn, sich die Dankbarkeitsfrage zu stellen. Denn diese hängt immer mit anderen Menschen oder Dingen zusammen. Du stellst dir die Frage nicht nur in der Ratio, sondern auch in deinen Gefühlen: Wo fühlst du Dankbarkeit und wie fühlt sie sich an? Lasse dieses Gefühl 15 Sekunden lang wachsen. Wenn du dich dabei schwer fühlst, einfach weitermachen. Nicht aufgeben! Das braucht etwas Zeit, einfach weitermachen.
Was folgt nach der Dankbarkeit?
Gegenüber dieses Gefühls der Geborgenheit stehen Durchsetzungsvermögen und Einfluss. Wir brauchen als Mensch das Gefühl, dass wir uns durchsetzen können, dass wir eine Wirkung erzielen, dass wir selbstbestimmt sind. Dazu müssen wir die Emotion von Stolz in uns kultivieren. Damit hat die Gesellschaft aber oftmals ein Problem. Hier wird uns eher gelehrt: Halt dich mal klein, fall nicht so auf, steche nicht aus der Menge heraus. Du brauchst den Stolz aber! Deshalb solltest du dich unbedingt fragen: Was habe ich heute durch mein Handeln erreicht, auf das ich stolz sein kann? Die wichtige Komponente hierbei ist das Handeln. Was habe ich heute gemacht, auf das ich stolz sein kann? In vielen Köpfen wird das abgetan als Kleinigkeit, was man getan hat. Oftmals bekommt man das aus dem Elternhaus mit, dass das, was man tut, nie genug ist und es immer noch mehr sein muss. Wenn du dich aber jeden Tag fragst, auf was du heute stolz sein kannst, baut sich dieser Stolz Tag für Tag mehr auf. Auch im Äußeren: Kopf hoch, Brust raus – verändere deine Körperhaltung, dann verändert sich auch das Gefühl in dir drin.
Wären wir bei der dritten Frage.
Wir haben ein Bedürfnis nach Ordnung und Stabilität. Gerade in dieser Zeit ist das besonders wichtig, wo die Ordnung, wie wir sie gewohnt sind, nicht mehr da ist. Am Ende des Tages sollte die Frage also lauten: Wo habe ich mich heute sicher oder entspannt gefühlt? Es gab diese Insel im Laufe des Tages, sei es morgens im Bett oder weil ich zu Hause etwas aufgeräumt habe. Dieses Gefühl kultivierst du wieder 15 Sekunden lang. Die letzte Frage brauchen wir für Veränderung, Offenheit für die Welt, denn es ist das Motiv der Leichtigkeit.
Welche Frage fehlt dann noch, um unsere Emotionen komplett abgeklopft zu haben?
Die vierte Frage, die wir uns stellen solltet, lautet: Wo bin ich heute ins Staunen gekommen? Einige werden sich damit am Anfang vielleicht schwer tun, andere leichter, weil sie vielleicht in allem ein Wunder erkennen. Es soll aber kein zynisches Wunder sein! Sondern ein wirklich als Wunder empfundener Moment, so wie wir sie als Kinder erlebt haben.
Wir sollten wirklich darauf achten, wie wir mit uns umgehen. Wir sind nämlich ganz groß darin, uns klein zu machen. Seien wir doch sanft zu uns selbst. Auch wenn sie wieder da sind, die Gedanken, die mir mein Leben vermiesen wollen, die mich klein und unzulänglich machen. Diese Gedanken können wir uns anschauen und als interessant empfinden, aber es sind eben nur Gedanken und nicht die Realität.
Was glaubst du, warum so viele Emotionen von vielen Menschen im Keim erstickt und durch Essen ersetzt werden?
Wir haben nicht gelernt, mit unseren Emotionen umzugehen. Mit Glück kommst du aus einem Elternhaus, in dem offen mit Emotionen umgegangen wird und in dem dir Raum gegeben wurde für deine Gefühle. In dem du wütend und traurig sein durftest und trotzdem geliebt wurdest. “Geh mal in dein Zimmer und wenn du dich wieder abgeregt hast, komm wieder raus” – was lernt man denn da bitte fürs Leben? Dass es nicht okay ist, wer man ist und wie man sich fühlt. Deshalb haben wir als Kinder versucht, uns Ablenkungsstrategien zu entwickeln, um uns von Schmerz abzulenken. Das behalten wir uns als Erwachsene bei.
Wie äußert sich das?
Anstatt uns mit der Ursache auseinander zu setzen, weil wir eben auch nicht wissen wie, suchen wir eine Kompensation – sei es Essen, sei es Sex, sei es Arbeit oder exzessiver Sport. Wir wollen weg von etwas. Aber der einzige Weg, dieser Kompensationsstrategie zu entkommen, ist, sich nicht dafür fertig zu machen, dass man so reagiert und dann zu versuchen, sich dem Schmerz zuzuwenden anstatt von ihm wegkommen zu wollen. In sich hineinzuhören, den Schmerz zu fühlen, denn anders kommen wir da nicht raus aus dem Kreislauf.
Emotionen wollen eben ausgelebt und nicht versteckt werden.
Richtig. Dafür müssen wir verstehen: Disziplin ist nicht der Ausweg! Willensstärke funktioniert nicht. Wir haben am Tag nur ein begrenztes Kontingent an Willensstärke und abends ist die meistens aufgebraucht. Da sollten wir keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen, können wir nämlich auch gar nicht mehr. Auch nicht, wenn es ums Essen geht. Wenn wir das wissen, können wir uns fragen, um was es uns in einem solchen Moment wirklich geht: Sind wir verletzt? Haben wir Angst? Wenn wir lernen, das auszudrücken – danach fühlen wir uns so stark und lernen, unserer Intuition zu vertrauen. Das ist einfach so wunderschön!
Es ist eben nicht die Disziplin, die wir brauchen. Und so viele Menschen fühlen sich schlecht, weil sie denken, sie seien undiszipliniert!
Der Witz ist ja: Jeder von uns hat ja Disziplin! Wenn jemand jeden Abend noch eine halbe Tafel Schokolade auf dem Sofa isst, obwohl er sich vorgenommen hat, eigentlich abends auf Kohlenhydrate zu verzichten. Und derjenige zieht das wirklich jeden Tag so durch. Dann ist da schon Disziplin vorhanden! Es gibt ein Buch, das heißt “Emotional Success”, in dem ganz gut erklärt wird, warum Disziplin und Willensstärke überbewertet werden.
Apropos Kohlenhydrate: Wie stehst du dazu? Isst du welche?
Aber ja, ich liebe Nudeln. Manchmal esse ich Dinkelnudeln, aber Zucchini-Nudeln sind für mich eine Farce. Ich esse auch gern Brot. Mal esse ich mehr davon, mal esse ich weniger davon. Ich habe aber gespürt: Wenn ich zu viele Kohlenhydrate esse, habe ich ein aufgeblähtes, unangenehmes Sättigungsgefühl. Ohne Kohlenhydrate hatte ich hingegen das Gefühl, gar nicht satt zu sein. Da war es spannend, mal in mich hineinzuhören, wie sich satt eigentlich anfühlt.
Gibt es Glaubenssätze, die dich beim Essen begleiten oder hast du die alle bereits abgelegt?
Ich denke nicht: Oh nein, das darf ich nicht essen, das tut mir nicht gut! Ich frage mich eher: Was esse ich heute, habe ich da überhaupt Lust drauf? Einer meiner Glaubenssätze ist wenn dann: Ich könnte mich noch etwas gesünder ernähren.
Was ist denn gesund für dich?
Da muss ich mir mal die Lebensmittel anschauen, die ich zu mir nehme. Ich trinke keine Kuhmilch, sondern nehme Kokosmilch, Mandelmilch, Hafermilch zu mir. Ich nehme so gut wie keine Käseprodukte zu mir, was ich auch schon für ziemlich gesund halte. Vielleicht könnte ich noch mehr Gemüse zu mir nehmen. Das könnte ein Gedanke sein, der mich unterschwellig begleitet.
Mal weg von den Glaubenssätzen: Gibt es einen Satz, den du den Menschen da draußen gern mit an die Hand geben würdest?
Ein Satz, den einer meiner Mentoren mir gesagt hat: Environment is stronger than will. Dein Umfeld ist stärker als dein Wille. Dieser Satz hat etwas in mir ausgelöst. Davor dachte ich, ich kann alles erreichen, wenn mein Wille nur stark genug ist. Dieser Satz meint aber ähnliches wie: Du bist die Summe der fünf Menschen, mit denen du dich umgibst. Doch achte mal bewusst darauf, mit welchen Menschen du dich umgibst und wie deine Umwelt aussieht. Wo befindest du dich? Tut mir mein Job gut? Tut mir gut, wo ich wohne? Passt meine Entwicklung noch zu dem, wo ich bin oder nicht mehr? So wurde mir bewusst, was um mich herum ist und dass es mir dabei hilft, zufrieden zu sein.
Ihr mögt in die Podcast-Folge mit Yvonne reinhören? Dann schaut vorbei! Viel Spaß beim Zuhören bei dieser sowie vielen weiteren spannenden Folgen von “Wonder of Weightloss”.